Die Wissenschaft, das Wissenschaftliche fußen auf verschiedene Methode der Beobachtung und Vermessung. Es gibt Physik-Regeln, die eine Normalität erzeugen bzw. festlegen; Schwerkraft, Newtons Axiomen. Die Messbarkeit und Auswertung von den Daten führen dann demzufolge zu der Erzeugung eines Durchschnitts und zwei quantitativer Grenzen: mehr oder weniger als die meisten.
Es ist Spätsommer. Das Publikum hat sich hingesetzt. Ein leuchtendes Parallelogramm steht leicht nach hinten gebogen auf der Bühne. Das Licht ist warm, erzeugt den Eindruck, dass diese Fläche schweben könnte. Der Ton im Hintergrund spielt mit: Es klingt außerirdisch. Plötzlich wird diese Fläche zum Tisch und die Schwerkraft wird erhoben. Aus der oberen Seite des Parallelogramms erscheint Teil eines Körpers, der sich so auf ihn positioniert, als ob es sich auf dieser Fläche setzen würde: Es ist nur der Oberkörper zu sehen, die Hände der Person sind auf der Fläche gefaltet. Eine zweite Person „setzt sich“ auf der rechten unteren Ecke der Fläche. Die zwei Körper verschwinden und die leuchtende Fläche dreht sich 90 Grad nach links.
Die Orientierung der Fläche wird nach bestimmten Bilder-Sequenzen geändert. Am Ende wird sie getragen und steht als Tisch auf der Bühne. Die Performende sitzen nah aneinander auf Hocker. Das Tempo ändert sich bzw. eine neue musikalische Ebene wird hinzugefügt: Die anderen zwei Performende laufen kreisförmig.
Der Rhythmus, der vom Ton gegeben wird, setzt den Rahmen, worin sich die fünf Körper bewegen dürfen. Gleichzeitig öffnet den Raum für eine Suche von Zwischentönen und -klängen, die neuen vielfältigen Rhythmen erzeugen, wodurch sich die Performende nach und nach sich eindringen.
Es ist Spätsommer. Auf einem anderen Tisch setzen wir uns nach einer kleinen Pause. Der erste Durchlauf ist gerade vorbei. Es ist ein sonniger Nachmittag, die Stimmung ist entspannt. „Wie haben eure Körper beim Zuschauen reagiert?“ fragt Silvia. Wir sammeln und daraus kommen Wörter wie: locker, neugierig, mit Aufregung, humorvoll.
In einer seinen Vorlesungen zieht Barthes die Schlussfolgerung: „Wenn man zwei unterschiedliche Rhythmen überlagert, entstehen schwerwiegende Störungen.“[1] Die Brüche, das Nicht-Mitmachen, das A-Synchrone, das Nicht-Bewegen offenbaren in commonnorm den Inhalt seiner Titel: das Gemeinsame und die Normalität stehen so nah aneinander, dass die beiden untrennbar sind. Wenn das Englische „common“ als eine zeitliche Bezeichnung verstanden wird (ins deutsche mit „häufig“ zu übersetzen), bekommt der Rhythmus eine zusätzliche Dimension. Kurz vor der Mitte der Performance hallen die Körper den Ton nach: Fast schwebend, reagieren zu dem wiederholenden Ton. Dabei näheren sich an, bilden Konstellationen, schaffen optisch symbiotische Bilder. TachoTinta schafft es als Kollektiv in dieser Choreographie eine Idiorrhythmie zu entwickeln, die den Raum und die. Zeit gibt, verschiedene und eigene Rhythmen zu entstehen, die nicht synchron sein müssen bzw. sich auf das Asynchrone beziehen.
Diese Schwerkraft, vor allem das Schwere und Gewichtvolle dabei, wird am Ende der Choreografie mit dem plötzlichen und überraschenden Rollen umgedreht. Eine Leichtigkeit übernimmt und sie ist auch auf den Gesichtern der Performende zu sehen: spielerisch, fröhlich, ihre Haltung ist ein ständiges Zwinkern an den sog. Normen, die in der Gesellschaft in einem Land des Globalen Nordens herrschen. Ein Rollen, das mit seinen Qualitäten zum Mittel wird, für die Abschaffung jeglicher gesetzten Form von Normalität als Unterdrückungs- und Einschränkungsstrategie.
[1] Roland Barthes: Wie zusammen leben. Simulationen einiger alltäglicher Räume im Ro- man. Vorlesung am Collège de France 1976–77, übers. von Horst Brühmann, hrsg. von Éric Marty, Frankfurt a.M. 2007, 47.